Freunde im Überfluss

Es gibt ja nicht nur Schule hier bei uns. Nein, das bestimmt nicht. Dennoch trägt diese nicht wenig zu unserem Freundeskreis bei. Etwa 99 Prozent meiner derzeitigen "Freunde" hier in China sind 12 bis 15 Jahre alt. Meine Schüler. Oder zumindest bin ich die "beste Freundin" aller. Muss man sich Sorgen machen? Nein, in China nennt sich fast ein jeder Freund. Geschäftspartner? ach, als Freunde lässt es sich doch viel besser verhandeln! Und die guten, guten Freunde aus dem Westen, die ab und an auf Staatsbesuch vorbeischauen, sind dann auch gleich viel diplomativer. Wer stößt schon gerne Leute vor den Kopf, die einen gerade erst ihren guten Freund genannt haben? Ja, und Ausländer hat auch jeder hier gern in seinem "Freundeskreis". Ist es nur Eigennutz? Manchmal. Wie gestern, als Ebru und ich leicht naiv auf diese Freundesmasche hineinfielen. Manchmal findet man aber auch einfach nette Menschen, die gerne helfen oder einfach gerne Kontakt zu neuen Menschen aufnehmen wollen oder ihr Englisch ausprobieren. Ja, man kann bestimmt auch in China echte Freunde finden. Das sind dann allerdings die, die nicht in den ersten zwei Sätzen das F-wort  erwähnen...

Gestern haben wir die Post gesucht, denn Ebru wollte ein Päckchen verschicken. Natürlich fanden wir sie nicht alleine, kamen jedoch zufällig an einem Informationcenter vorbei und erwarteten dort Hilfe anzutreffen. Natürlich konnte der Herr am Schalter kein Englisch und so standen wir erst eine Weile dumm in der Gegend herum, bis drei Mädchen uns ansprachen, ob sie uns helfen könnten. Auch neu an der Uni für das Fach Marketing und ähnlich ahnungslos wie wir, konnten sie doch zumindest Chinesisch UND Englisch, sodass sie nicht nur den Weg für uns erfragten, sondern auch noch mitkamen, um uns beim Verschicken zu helfen. Die drei waren echt super nett und geduldig. Es ging auf die Mittagszeit zu und so beschlossen wir gemeinsam in der Mensa zu essen. Apropos: Das F-Wort ist nicht gefallen, obgleich wir uns super verstanden haben. Von den dreien stell ich noch ein Foto in die Fotorubrik.

In der Mensa angelangt, waren denn die Sprachunterschiede doch zu gravierend, als dass sie sich in der Lage gesehen hätten, uns mit dem Essen bestellen zu helfen, fragten sie weitere Chinesen um Rat. Die umringten uns zu sechst und die rängten die drei Mädchen vöölig von uns weg, schleiften uns danach eine Etage höher, damit wir dort in Ruhe essen können. Auf die Frage, ob wir was trinken wollten antworteten wir mit "Ja" und gaben ihnen auch bereitwillig unsere Mensakarte, denn sie schienen uns ganz nett zu sein. Statt mit zwei Getränken kamen sie mit 8 wieder - ein Saft für jeden. Und natürlich tranken wir auf unsere Freundschaft und unterhielten uns auch noch ganz nett. Ebru jedoch hatte Verdacht geschöpft und er sollte sich verhärten...

Als wir Abends essen gingen, hatten wir jeder ca. 20 Yuan weniger auf unseren Karten, als zuvor. Sie hatten alle Getränke mit unseren Karten finanziert. Ohne uns zu fragen.

Wir wollten nichts mehr mit diesen "Freunden" zu tun haben, Ebru, die ihnen ihre Handynummer gegeben hatte, wurde jedoch förmlich gestalkt. Irgendwann reichte es uns und wir schrieben eine böse sms zurück. Wir waren kurz davor, dass F-Wort zu benutzen. Das andere, wenn's recht ist aber da wir anständige Menschen sind, beließen wir es bei hartem Sarkasmus.

Es gibt eben Freunde und "Freunde". Die Anführungszeichen zu erkennen, bevor es zu spät ist, das ist die Kunst.

 

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Weise Weisen

 

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