Tatort Karaokebar

Es war Samstag, der 10.September 2011. Es begann alles ganz harmlos beim abendlichen Festessen. Es war Teacher's Day und so versammelten sich alle Pauker in einem großen Raum mit vier kreisrunden, großen Tischen zum Schmausen. Es gab die besten Dinge: grüne Kuchen, scharf eingelegte Kohlrabi, Fleisch in allen Variationen und von diversen Tieren, Sellerie, Spinat mit Strünken, seltsame Früchte, die angeblich eine Kartoffelart waren, frische, noch weiche Erdnüsse, gegrillten Knoblauch, Garnelen, und noch so manches Allerlei. Es war ein echtes Festessen, darum gab es auch keinen Reis, denn der gilt als "zu schneller, günstiger Sattmacher".

Es war eine fröhliche Gesellschaft, die da zusammengefunden hatte, es wurde gescherzt, gegessen und getrunken. Und genau damit begann das Dilemma. Man stieß auf alles mögliche an - wieder und wieder, drücken galt nicht. Allmählich wurde die Stimmung noch ausgelassener, die älteren Herren, denen das Wort "angemessen" wohl fremd war, spielten Trinkspiele mit bittersaurem Rotwein und Reiswein, der wohl am ehesten mit in Wodka eingeweichten, verflüssigten weißen Gummibärchen zu vergleichen ist. Pure Medizin, doch von heilender Wirkung kann hier nicht gesprochen werden. 

In dem Glauben daran, dass alle Deutschen viel Bier trinken, also auch alles andere gern, stießen sie wieder und wieder mit den beiden jungen Mädchen an denen das unter den Tisch trinken jedoch zuwider war. 

Ein Teil der Pauker wollte in die Karaokebar und die beiden schlossen sich ihnen an, keine Gelegenheit auslassend. Immerhin - wie oft im Leben kommt man schon nach China?

Im Karaokesaal war es noch leer und still, als sie ankamen, doch sollte sich das bald ändern... Der dämmrig abgedunkelte Raum füllte sich mit bereits vollen, doch noch immer nicht voll abgefüllten Menschen, einer Menge Alkohol, Knabberzeug, allerlei Früchten, Tee und einer ganzen Menge Krach. Die Mikros waren auf dreifach Hall und zehnfaches Echo eingestellt und katapultierten die Dezibelanzeige in die dunkle Decke des Saales. Den Weiteren Abend wurden die Ohren, die Nerven und der Geduldsfaden der beiden Mädchen derart strapaziert, dass wir froh sein können, dass alles heil geblieben ist, als in all dem Tohuwabohu auch noch der betrunkene Mister Lu (Name geändert) ihre Namen lernen wollte, was ihm auch nach Stunden nicht gelang, ihnen näher und näher auf die Pelle rückte und sie letztlich zum Tanzen aufforderte, wobei die zwei sich so unbeholfen wie nur möglich anstellten. Unterstützt wurde Mister Lu von Mister Wu (Name geändert), der die zwei gleich einlud, das Mondfest doch mit ihm und seiner Familie in seiner Heimat Kunming, 620 km entfernt von Nanning, zu verbringen. Die eine der zwei fühlte sich stark an einen (Aus-)**** erinnert, sie suchten ihr heil in der Flucht an die Mikros. Wer sang musste nicht reden, betrunkenen Chinesen beim Verunstalten des eigenen Namens lauschen und das mit Ausrufen wie "Yes, yes" oder "good!" kommentieren und wurde nicht von zwei Seiten von eben jenen zusammengequetscht.

Zum Glück war Mary, Linkteacherin der zwei für sie da und brachte sie nach Hause, als Zeit wurde einen Schlussstrich zu ziehen...

 

Wir haben viel gelernt, diesen Abend: Dass chinesische Lieder keinen Takt und Chinesen kein Taktgefühl haben, dass chinesisches Bier kaum Alkohol beinhaltet, dafür Reiswein umso mehr, dass chinesische Männer, die dem Alkohol erliegen (und das geht ziemlich schnell), ziemlich unangenehm werden können, dass jedoch jene, die dem Gebräu nicht zu sprechen sehr nette Mitmenschen sind, die oftmals schöne Stimmen für ihre schöne Sprache pflegen.

 

Soviel zu heute abend. Da heute Teacher's Day ist, haben wir tolle Geschenke und Karten von unseren Schülern bekommen, obwohl wir gerade mal eine Woche hier sind. Außerdem haben wir jetzt neue Namen. Ebru heißt jetzt Ji Bu (erst hoch, dann fallend), ich bin von nun an für die armen Chinesen, die mit diesem schrecklichen "W" am anfang und dann auch noch der Kombination aus "b" und "k" nicht zurecht kamen Wei (sprich: uei) ke (erst steigend, dann fallend).

 

So, jetzt heißt es schleunigst ins Bett, denn es ist mal wieder spät geworden.

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Kommentare: 1
  • #1

    Caro (Montag, 26 September 2011)

    Hi Weike,

    sag mal haben die Schüler euch den Namen gegeben oder ihr euch selber?

    Gruß Caro

Weise Weisen

 

Heimat ist nicht

da oder dort.

Heimat ist in dir drinnen

 - oder nirgends.


Hermann Hesse